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Vorwort

Man glaubt es kaum: Trotz Veranstaltungsverboten und erschwerten Bedingungen umfasst der Katalog zum Preis der freien Szene Wien 242 Seiten. Der Preis der freien Szene sowie der diesjährig einmalige Sonder-preis für Clubkultur geben einen Eindruck darüber, wie vielfältig, wendig und vor allem stark die Szene trotz Pandemie ist. Das Durchschmökern der nächsten Seiten soll Lust machen, motivieren und uns allen zeigen, wozu wir in der Lage sind. Vorab aber noch ein paar Worte des Vorstandes der IG Kultur Wien:



Magdalena Augustin

Nach nun über fünf Jahren im Vorstand der IG Kultur Wien hat es definitiv noch nie eine Phase gegeben, in der es sich so befremdlich angefühlt hat, in einer Vertretungsfunktion tätig zu sein. Aus dem simp-len Grund, dass kaum aktive Kulturarbeit möglich war und der Bezug zum praktischen Feld immer weiter wegrückte. Wie soll es möglich sein, überzeugend für die Akteur*innen der Wiener Kulturszene einzustehen, wenn sich die eigene kulturelle Identität stetig verschwommener anfühlt und durch Verordnungen und Betretungsverbote in den Hintergrund gedrängt wird? Einer der vielen Widersprüche des letzten Jahres, die mich und andere in der Interessenvertretungsarbeit beschäftigt haben und der erst langsam wieder von zurückkehrender Aktivität übertönt wird. Allerdings ist noch lange nichts so wie vorher, vor allem nicht in der Clubkultur, die mein kulturelles Hauptbetätigungsfeld darstellt. Bis in die warme Jahreszeit hinein gelten Tanzverbot und Sitzpflicht. Bei jeder Gelegenheit, bei der doch ein paar Menschen vor einer Box zusammenkommen und tanzen, bleibt der bittere Beigeschmack des eigentlich Verbotenen, Unvernünf-tigen. Ein Gefühl von „gleich ertappt werden“ macht sich breit und dass wir leise und versteckt bleiben sollten, selbst wenn wir uns zum Beispiel auf einer angemeldeten (und damit legalen) Kundgebung mit Masken und Abstand befinden, die genau jene Freiheit der kulturellen Nutzung im öffentlichen Raum einfordert. Bevor Schuldgefühle für bestimmte kulturelle Praxen aufkommen, sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die risikofreies Agieren ermöglichen. Am Horizont erscheinen nun immer mehr Perspektiven, und das kulturelle Leben kehrt nach Wien zurück. Allerdings nur langsam, undurchsichtig und ressourcen- bzw. kostenintensiv. Viel Frust hat uns im letzten Jahr begleitet über die ver-wirrenden und stockenden Prozesse auf Bundes- sowie Landesebene und das generelle Gefühl eines fehlenden Masterplans. Somit verbleibe ich in der Hoffnung, dass bald die nötige Planungssicherheit gewährleistet sein wird, um wieder neue künstlerische und kulturelle Ausdrucksweisen entwickeln zu können.

 

Zuzana Ernst

Die umfangreichen Schließungen aufgrund der Pandemie, Bedrohung und Perspektivlosigkeit für so viele Räume und in der Kunst Tätige der freien Szene zeigen deutlich, dass nachhaltige Strategien und Ressour-cen für die Erhaltung selbstverwalteter Kunst- und Kulturorte dringender denn je sind. Die Stadt braucht Räume, die nicht-kommerziell, offen, dezentral sind. Räume, in denen Kulturarbeiter*innen und Künstler*innen unterschiedlicher Genres und Backgrounds zusammenkommen und pro-duzieren können. Viele arbeiten allerdings in prekären Verhältnissen. Neben der künstlerischen Arbeit sind auch Administration, Verwaltung, Instandhaltung, Reinigung, Öffentlichkeitsarbeit, das Schreiben von Anträgen, Künstler*innenbetreuung usw. zu leisten. Das sind unzählige Personalstunden im Jahr. Um diese nur annähernd decken zu können, hanteln sich viele von einer Projektförderung zur nächsten. Wenn nun aufgrund der Lockdowns auch noch weniger Projekte umsetzbar sind, werden inadäquate Förderstrukturen umso spürbarer. Es braucht also eine nachhaltige Förderung der Infrastruktur für das Betreiben von selbstorganisierten Räumen. Es braucht die Finanzierung der laufen-den Organisation und der Personalkosten für das Verwalten, Betreiben und Bespielen von selbstorganisierten Räumen. Denn wenn über Räume gesprochen wird, wird letztlich um die Entscheidung verhandelt, wer in dieser Stadt schaffen kann und darf. Es geht um öffentlich zugänglichen Raum. Es geht um Existenzen und die Lebens- und Wirkräume der Stadt-gesellschaft.

 

Günther Friesinger

Die Arbeitsbedingungen im freien Kunst- und Kultursektor waren schon vor der Covid-19-Pandemie extrem prekär. Darum bedeutete der erste Lockdown für Kulturinitiativen zum Teil einen Totalausfall der Einnahmen und für Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen den Verlust des gerin-gen Einkommens. Die meisten Kulturinitiativen verfügen auch über keine Rücklagen, um die Einnahmenausfälle abzufedern. Kulturbetriebe waren die Ersten, die von den Covid-19-Einschränkungen betroffen waren – und werden auch die Letzten sein, wenn es um die Rücknahme der Maßnah-men geht. Doch wie kann es weitergehen? Wie wieder losgehen? Und gibt es Perspektiven? Alles, was uns durch Corona-Auflagen verboten ist, macht den Kulturbereich aus. Menschen, die gemeinsam Kunst und Kul-tur genießen, Zeit miteinander verbringen, tanzen, feiern. All das wird wiederkommen, aber wahrscheinlich nicht mehr so, wie es einmal war. Das Virus ist gekommen, um zu bleiben, und so werden wir anfangen müssen, damit zu leben. Das fängt bei regelmäßigen Impfungen an und führt zu einem Kulturbetrieb, der reflektierter, entschleunigter und regi-onaler werden muss.

 

Sabine Maringer

Es war und ist schon zum Verzweifeln: das Gefühl, als Künstler*in wert-los für die Gesellschaft zu sein, hinten anstehen zu müssen und ohne Stimme dazustehen. Noch härter aber ist es dann, auf Kommando habt Acht zu stehen und gefühlt kommentarlos und ohne große Vorwarnung wieder ins Rennen geschickt zu werden, mit der Erwartung, sofort und aus dem Stand volle Leistung zu bringen. Ich habe aufgehört zu hoffen, die Zukunft ist nicht nur unsicher, sondern sie liegt auch nicht mehr in meinen Händen. Ich habe die Macht über mein künstlerisches Schaffen verloren und befinde mich im staatlichen Diktat. Morgen auf, morgen zu, wer weiß es schon so genau. Im Herbst die nächste Welle oder doch nicht. Darf ich zu meinen Auftritten reisen oder doch nicht. Darf ich auftreten oder doch nicht. Ich könnte jetzt sagen, ich gebe auf, macht euch eure Kunst in Zukunft selbst. Denn ich bin wütend und zornig und grantig, so wie eine Wienerin eben grantig sein kann. Aber deswegen aufgeben? Nein! Die Wut und der Zorn sind ein guter Motor, um weiterzumachen, denn ein*e „echte*r“ Wiener*in geht nicht unter.
 

Tamara Schwarzmayr

Wenn sich jetzt unsere Gesellschaften nicht dazu durchringen, den Reichtum an Optionen umzuverteilen, bleibt für alle nicht viel über. Auch dafür brauchen wir Kunst und Kultur. Lieben tun wir sie sowieso, nicht?