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Neuer Kulturstadtrat

Kommentar im profil-online, 23.04.2001



Bitte um ein Ideologieressort

Warum interessiert sich die SPÖ so wenig für die Kultur?

Von Christian Seiler

Das PS zuerst: Die Politik ist ein Hund, gemein, verschlagen und schwer
zu verstehen. Da gab doch ein gewisser Kurt Scholz, damals noch Wiener
Stadtschulratspräsident und zumindest nach dem Willen von Helmut Zilk
fast schon neuer Kulturstadtrat der Wiener Stadtregierung, zwei
Interviews. In diesen durchaus anregenden Gesprächen äußerte Scholz
Interesse am genannten Job und Sympathie für den bisherigen Amtsinhaber
Peter Marboe.

Als Bürgermeister Michael Häupl am vergangenen Freitag seine
Stadtregierung vorstellte, war Kurt Scholz jedoch nicht mit von der
Partie. Er musste also beobachten, wie der bisherige Chef der Sektion
Kunst im Bundeskanzleramt, Andreas Mailath-Pokorny, als
Marboe-Nachfolger inthronisiert wurde. Scholz konnte nicht einmal an
seinem Stadtschulrats-Schreibtisch Platz nehmen, um eine Sekunde drüber
nachzudenken, ob er sich etwa das eine oder andere Zeitungsinterview
hätte sparen sollen - denn sein Schreibtisch war auch nicht mehr seiner.
Plötzlich war der Fast-Stadtrat nur mehr Beauftragter der Stadt Wien für
Restitutionsfragen - schneller als erwartet hatte ihn der Bannstrahl des
Bürgermeisters getroffen und aus dem Zentrum der politischen Macht an
deren (bei allem Respekt vor Scholz' neuer Aufgabe) Peripherie gebeamt.
So viel zum Thema "schwer zu verstehen".

Nun ist die Wiener SPÖ also wieder im Besitz des Kulturressorts, wenn
auch nicht gern. Als sich beim regierenden Bürgermeister nach der
Schrecksekunde über die Dimension seines Wahlsiegs der Gedanke
einstellte, dass seine Partei jetzt auch tatsächlich allein regieren
muss, stellte sich, was die Kultur betraf, schnell die peinliche Frage:
mit wem?

Kein SPÖ-Funktionär möge es sein, verlautete aus den wie üblich gut
informierten Kreisen, kein Partei-Apparatschik, lieber ein
Quereinsteiger, der parteifrei (aber auch nicht zu parteifern) sei. Eine
Person aus dem Medienbereich, eine mit Strahlkraft. Aber wie man bald
merkte, wachsen die nicht auf den Bäumen (oder wenigstens werden sie
nicht von roten Kommunalpolitikern gepflückt). Der Bürgermeister kam
sogar auf die Idee, den Alien Marboe als seinen eigenen Nachfolger zu
engagieren, und bloß dass dieser abwinkte, ersparte der SPÖ die Blamage,
ausgerechnet das Kernressort Kultur freiwillig und gratis der Konkurrenz
überlassen zu haben.

Problematisch daran war weniger Häupls generöses Angebot, das beweisen
sollte, wie gut die Wiener Genossen das Prinzip vom Teilen und Herrschen
verstehen - das vermittelte eher den damit beabsichtigten sympathischen
Eindruck.

Problematisch ist vielmehr, dass die SPÖ vergessen hat, dass es sich
beim Kulturressort tatsächlich um ein Kernressort handelt - nicht um
eine Verwaltungsangelegenheit, deren Rädchen möglichst unauffällig
geschmiert werden sollen. Dass Mailath-Pokorny von Anfang an als eine
Art linksliberaler Marboe verkauft wird, lässt darauf schließen, dass
die SPÖ dieses Missverständnis noch nicht bereinigt hat - aber
vielleicht hat sie diese Rechnung ohne den neuen Kulturstadtrat selbst
gemacht, das Zeug dazu hätte er ja.

Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass die österreichische
Sozialdemokratie wirklich bemerkenswerte Kulturpolitiker in ihren Reihen
hatte. Auch wenn Rudolf Scholten und Ursula Pasterk die Partei durchaus
in Kalamitäten brachten, indem sie mit ihren Meinungen polarisierten und
Widerspruch erregten, so verkörperten sie mindestens glaubwürdig jene
Ernsthaftigkeit und Leidenschaft, mit der sich die Sozialdemokratie mit
der Kunst und deren Inhalten auseinander zu setzen hat.

Man muss gar nicht bis zu Bruno Kreisky zurückblättern und dessen
traditionell gutes Verhältnis zu Schriftstellern, Malern und Philosophen
ausgraben. Selbst der große Pragmatiker Franz Vranitzky war sich klar
darüber, dass eine lebendige, zeitgemäße Sozialdemokratie dauernde
Überprüfung durch unkonventionelle Denkansätze braucht, die nur Kunst
und Künstler leisten können. Dafür braucht die Partei Andockstellen für
diese Personen - Rudolf Scholten war so eine, Ursula Pasterk auch
(wenigstens in den ersten Jahren ihrer Amtszeit).

Viktor Klima hat mit dieser sozialdemokratischen Selbstverständlichkeit
aufgeräumt und sich selbst der Lächerlichkeit preisgegeben, indem er die
Kunst zuerst zur Chefsache erklärte und dann vergaß. Sein Staatssekretär
Peter Wittmann wurde zeit seines Amtes nicht zur Kenntnis genommen. Die
Kultur war der SPÖ so wenig wichtig wie das Profil ihres Programms.

Kein Wunder, dass Ursula Pasterks zwar altes, aber auch
zukunftsweisendes Diktum, das Kultur- sei ein Ideologieressort,
jahrelang dementiert wurde und von den Pragmatikern in der SPÖ
belächelt.

Dabei handelt es sich bei ihrem Satz um die zentrale Botschaft an den
neuen SP-Vorsitzenden: Wenn er seiner Partei neues Leben einhauchen
will, braucht Alfred Gusenbauer dringend ein funktionierendes
Kulturressort, weil dort - und nirgendwo sonst - das Herz der SPÖ
schlägt.
Selbst in Wien.  

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