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Leerstand im Erdgeschoß – Zusammenfassung von „Leerstand nutzen!“-Panel 2

Leerstand nutzen!
Teil 2: Leerstand im Erdgeschoß
 

Zusammenfassung von Fabian Wallmüller (IG Architektur)

Videoaufzeichnung (Youtube) unten

Die von der IG Kultur Wien ⇒mitveranstaltete Diskussionsreihe „Leerstand nutzen! Möglichkeiten zur Aktivierung von Leerstand in Wien“ platziert im Vorfeld der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl 2025 die Erfassung und Nutzung von Leerstand als politisches Thema. Teil zwei der Reihe fand am 8. November im Festsaal der alten WU Wien statt: „Leerstand im Erdgeschoß“.

Welche Bedeutung hat die Aktivierung von Leerstand im Erdgeschoß für eine lebendige Stadt? Mit welchen Push- und Pull-Maßnahmen kann in Wien Leerstand im Erdgeschoß geöffnet und genutzt werden? Darüber diskutierten am 8. November im Festsaal der alten WU Wien Expertinnen und Experten aus den Bereichen Politik, Leerstandsmanagement, Stadtentwicklung und Forschung – Patricia Anderle (Gemeinderätin Wien, Ausschuss Kultur und Wissenschaft bzw. Klima und Umwelt), Uli Fries (Kreative Räume Wien), Sabine Lutz (MA 21A, Stadt Wien), Christian Peer (Raumplanung bzw. future.lab, TU Wien), Anna Theresa Renner (Raumplanung, TU Wien) – unter der Moderation von Robert Temel (Architektur- und Stadtforscher, Plattform Baukulturpolitik).
 
Kulturelle Nahversorgung

Eine belebte Erdgeschoßzone ist die Voraussetzung für eine lebendige Stadt: Darin waren sich alle Teilnehmenden der Paneldiskussion einig. Mehr noch: Sie ist im ureigensten zivilgesellschaftlichen Interesse. Denn Leerstand im Erdgeschoß, argumentierte etwa Rauplanerin Anna Theresa Renner, könne zu einer Abwärtsspirale führen, die ein gesamtes Stadtviertel in Mitleidenschaft ziehe – mit negativen Folgen für das Sicherheitsgefühl und die psychische Gesundheit, aber auch für die Immobilienpreise. Niederschwellige soziale Orte im Erdgeschoß wie Jugend- und Seniorentreffs, aber auch Kulturräume wie Veranstaltungsräume und Atelierplätze würden hingegen Stadtviertel aufwerten und als Frequenzbringer auch höherpreisige Geschäfte und Betriebe nach sich ziehen. Dies generiere Steuereinnahmen – und damit einen wirtschaftlichen Wert für die Allgemeinheit. Kulturelle Nahversorgung, so Leerstandsmanager Uli Fries, sei daher bei der Stadtteilentwicklung genauso mitzudenken wie soziale Infrastruktur.
 
Paradox sei, so Fries, dass es zwar – bedingt durch den Online-Handel – immer mehr Leerstand im Erdgeschoß gäbe, Vermieter*innen jedoch weiterhin von hohen Mieten ausgingen und Erdgeschoßlokale dadurch nicht leistbar seien – gerade für Kreative, Handwerk und Soziales. Dabei sei der Nutzungsdruck enorm, so Fries: „Es gibt einen wirklich hohen Raumbedarf. Wenn man Flächen günstig verfügbar macht, gibt es genug Projekte, die auf der Suche nach ebendiesen Flächen sind.“

Leerstandserhebung

Einigkeit herrschte auch darüber, dass es aufgrund der Bedeutung des Erdgeschoßes für den Stadtraum mehr Daten zum Leerstand im Erdgeschoß brauche. Allerdings sollten nicht nur der Leerstand, sondern auch die Gründe für Leerstand erfasst werden, so Stadtteilplanerin Sabine Lutz: „Liegt der Leerstand am falschen Matching, an überzogenen Mieten, am nicht vorhandenen Angebotsmix oder an schwacher Kaufkraft? Hier gibt es sehr viel Forschungspotenzial.“ Auch die Eigentümer*innenstruktur, die Qualität des Leerstands und der Nutzungsdruck sollten miterhoben werden, ergänzte Raumplaner Christian Peer, damit Maßnahmen zur Aktivierung von Leerstand zielgerichtet gesetzt werden könnten.
 
Leerstandsabgabe

Die Sanktionierung von Leerstand etwa durch eine Leerstandsabgabe sei jedenfalls überall dort gerechtfertigt, wo Leerstand im Erdgeschoß negative Auswirkungen auf die Umgebung hätte, argumentierte Lutz. Auch Fries befürwortete eine Leerstandsabgabe für strukturellen Leerstand (2), schlug jedoch auch Erleichterungen für unvermietbare Erdgeschoßlokale vor: „Wenn Leerstand zu einem marktüblichen Preis angeboten wurde und sich dann als unvermietbar herausstellt, sollten Eigentümer*innen nicht belangt werden.“ Gemeinderätin Patrizia Anderl verwies zur Leerstandsabgabe auf aktuelle Bemühungen der Stadt Wien: „Seit der Verfassungsnovelle 2024 (3) beschäftigen sich mehrere Stellen der Stadt mit der Leerstandsabgabe. Sie ist ein hochkomplexes Thema – und muss gut überdacht werden, bevor man die sie einführt.“
 
Vorsicht sei jedenfalls geboten, dass die Leerstandsabgabe nicht zu unerwünschten Mindernutzungen führe, warnte Renner. Die Nutzung von Erdgeschoßlokalen durch Lagerräume, Garagen, Self-Storages, Automatenshops oder Läden mit stark eingeschränkten Öffnungszeiten würde keine Qualität für den Stadtraum schaffen. Renner: „Die Leerstandsabgabe sollte nicht das alleinige Steuerungsinstrument sein. Es sollten auch Anreize und Regeln geschaffen werden, damit die Nutzung von Leerstand nicht in eine Richtung kippt, die man nicht wollte.“
 
Förderungen

„Man darf nicht nur mit Sanktionen kommen, man muss auch Anreize schaffen“, forderte auch Anderle und verwies auf die neue Wiener Grätzelinitiative „20+2“ im 2. und 20. Wiener Gemeindebezirk. In Kooperation mit der Wirtschaftsagentur Wien schaffe die Stadt Wien hier Anreize für Eigentümer*innen, Geschäftslokale im Erdgeschoß klimafit zu sanieren und zu vermieten. Auch Fries verwies auf bestehende Fördermodelle zur Sanierung von Geschäftslokalen, wie etwa die Förderung zur Geschäftsbelebung der Wirtschaftsagentur Wien. Er sprach aber auch Defizite an: „Förderungen richten sich aktuell hauptsächlich an Nutzer*innen und nicht an Eigentümer*innen. Und es sind meist anteilige Förderungen, die wegen der hohen Gesamtkosten oft nicht abgeholt werden – gerade von Personen aus dem Kulturbereich. Hier wären höhere Förderquoten oder der Entfall des Eigenanteils zu überlegen.“
 
Viel Luft nach oben sahen die Gäste des Panels auch beim Thema Lenkungseffekte von Förderungen. Einerseits, um Fördermissbrauch durch Private – Stichwort: Belohnung von Leerstand – hintanzuhalten; andererseits, um durch die Förderung gewünschter Nutzungen der Gentrifizierung eines Stadtviertels vorzubeugen. Renner forderte hier etwa die Einbeziehung marginalisierter Gruppen in Förderungen, da diese gerade dort leben würden, wo Leerstand besonders hoch sei. Peer sprach sich dafür aus, nicht nur Anreize für Experimente zu schaffen, sondern auch ihre Verstetigung zu fördern. Außerdem brauche es Förderungen für Bestand und Neubau – bei letzterem, um zukünftigem Leerstand vorzubeugen: „Auch großzügige Raumhöhen im Erdgeschoß oder die Vorrichtung technischer Infrastruktur sind eine Form der Förderung kleinteiliger Nutzungen.“ Lutz wiederum forderte die größere Perspektive ein: „Welche Zielbilder haben wir, und welche Nutzungen können in unterschiedlichen Lagen Platz greifen?“ Leerstand sei nicht zuletzt Teil einer größeren Frage: „Wie transformieren wir die Bestandsstadt? Wo machen kreative Nutzungen aus Sicht der Stadtentwicklung Sinn?“