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Leerstand in Gewerbebauten – Zusammenfassung von „Leerstand nutzen“-Panel 3

Zusammenfassung von Fabian Wallmüller (IG Architektur)

⇓Videaufzeichnung (Youtube) unten

Die von der IG Kultur Wien mitveranstaltete Diskussionsreihe „Leerstand nutzen! Möglichkeiten zur Aktivierung von Leerstand in Wien“ platzierte im Vorfeld der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl 2025 die Erfassung und Nutzung von Leerstand in Wien als politisches Thema. Teil drei der von großem Medieninteresse begleiteten Reihe fand am 27. November im voll besetzten Festsaal der alten WU Wien statt: „Leerstand in Gewerbebauten“.

Welche Rolle spielt die Aktivierung von Gewerbeleerstand für eine zeitgemäße Stadtentwicklung? Welche Erfahrungen aus Best-Practice-Beispielen können für zukünftige Projekte in Wien nutzbar gemacht werden? Darüber diskutierten am 27. November im Festsaal der alten WU Wien Expert*innen aus den Bereichen Projekt- und Immobilienentwicklung, Architektur, Raumplanung, Forschung und Kulturarbeit: Walter Asmus (Immobilienentwickler, Initiator Brotfabrik Wien, City Loft ART, Wien), Philipp Buxbaum (smartvoll Architekten, Wien), Lisa Gaupp (Professorin für Cultural Institutions Studies, Universität für Musik und darstellende Kunst, Wien), Sebastian Güttinger (Raumplaner, Denkstatt sàrl, Basel/ Zürich), _willi Hejda (Kulturarbeit, Kollektiv Althangrund für Alle, Wien), Leona Lynen (Projektentwicklerin, Haus der Statistik, Berlin) und Michael Rosenberger (Raumplaner, Stadt Wien/ MA 18, Referat Stadt- und Regionalentwicklung). Moderation: Johannes Suitner (Raumplaner, TU Wien, Forschungsbereich Stadt- und Regionalforschung).

Geht es um Ressouceneffizienz und resiliente Stadtentwicklung, bietet Leerstand in Gewerbebauten viel ungenutztes Potenzial. Gleichwohl lohnt ein genauerer Blick auf die Materie, zumal der Begriff Gewerbebauten zahlreiche Gebäudetypologien umfasst – Industriebauten, Bürobauten, Retailflächen, aber auch den Greißler ums Eck. Ebenso vielfältig sind die Nutzungsmöglichkeiten von Gewerbeleerstand – sie reichen von neuem, produzierendem Gewerbe bis zur Kulturarbeit. Viel Stoff also für eine inhaltliche Debatte.

Zahlen

Wie groß also ist das Potenzial des Gewerbeleerstands in Wien? 2015 hatte die Stadt Wien im Rahmen des Fachkonzepts „Produktive Stadt“ einen aktivierbaren Gebäude- und Flächenleerstand von 150 ha ermittelt – eine Fläche, halb so groß wie die Wiener Innenstadt. Aktuellere Zahlen seien nicht verfügbar, räumte Raumplaner Michael Rosenberger von der Stadt Wien/MA 18 im Rahmen der Diskussion „Leerstand nutzen!“ ein – der Erfassungsaufwand wäre zu groß.

Bis zu 13.000 ha Industrie- und Gewerbebrachen – eine Fläche größer als Graz – würden in Österreich leer stehen, wusste Architekt Philipp Buxbaum von Wiener Büro „smartvoll Architekten“ zu berichten und verwies in Bezug auf die mangelhafte Datenlage in Wien auf eine aktuell durch das Fraunhofer-Institut entwickelte KI zur Erfassung von Brachflächen, die in naher Zukunft auch für Österreich einen öffentlich zugänglichen Brachflächenkataster bereitstellen wird: „Damit kommen wir von Vermutungen weg, ob es Leerstand gibt oder nicht.“ Auch Leona Lynen, Projektentwicklerin in Berlin, verwies auf Methoden der Leerstandserfassung wie etwa den Leerstandsmelder in Deutschland, das Programm „Freifläche“ in Hamburg oder den Kulturkataster in London, wo Leerstand jeweils durch Crowdsourcing, aber auch durch von den Stadtverwaltungen erhobene Daten erfasst werde.

Best Practice

In einem einleitenden Impulsvortrag berichtete Lynen außerdem über das von ihr mitentwickelte Modellprojekt Haus der Statistik in Berlin – ein 45.000 Quadratmeter großer, seit 2008 leerstehender Bürokomplex der 1960er-Jahre am Berliner Alexanderplatz. Ursprünglich von der Staatlichen Zentralverwaltung der Statistik der DDR genutzt, sollen die Bestandsgebäude bis 2032 aktiviert und mit rund 70.000 Quadratmeter Neubau nachverdichtet werden. Zukünftig werden hier 25.000 Quadratmeter Kunst, Kultur und Soziales Platz finden, aber auch ein Rathaus, Verwaltungseinheiten der Stadt Berlin und 300 leistbare Wohnungen. 2015 hatte die Initiative Haus der Statistik das Gebäude im Rahmen einer künstlerischen Protestaktion besetzt und im Anschluss ein Nutzungs- und Finanzierungskonzept entwickelt. 2017 konnte die Stadt Berlin, das Berliner Immobilienmanagement und eine Berliner Wohnungsbaugesellschaft als Projektpartnerinnen gewonnen werden.

Besonders sei, so Lynen, dass bereits während der Planungs- und Bauphase die Erdgeschoße der Bestandsgebäude mit minimalen Mitteln in Stand gesetzt und für Pioniernutzungen geöffnet wurden. Seither würden diese Räume um einen Preis von durchschnittlich 1,50 Euro pro Quadratmeter vermietet und sowohl durch größere Partner wie etwa Berliner Kulturinstitutionen als auch durch Sprachcafés, Tangoabende, Summerschools, Café Ukraine und vieles mehr genutzt. Der Clou: Pioniernutzungen, deren Verbleib vor Ort gesichert ist, werden Teil des Planungsprozesses, was wiederum die langfristige Planung informiere. Lynen: „Statt von Vorneherein zu Ende zu planen, probieren wir Dinge im Kleinen aus, die auch scheitern dürfen, weil sie schnell gehen und nichts kosten.“ Außerdem wird die finanzielle Verantwortungen schrittweise an die Pioniernutzer*innen übergeben – was diese ermächtigt, bereits jetzt Kapital in die Adaption der Bestandsräume einzubringen, aber auch die eigenen Geschäftsmodelle zu optimieren.

Für Wien konnte Immobilienentwickler Walter Asmus von der Brotfabrik berichten, wo seit 2009 auf dem Areal der ehemaligen Ankerbrot-Fabrik ein 17.000 Quadratmeter großes Kulturzentrum mit Galerien, Ateliers, Büros, sozialen Einrichtungen und Gastronomie entwickelt wurde. Ähnlich wie beim Haus der Statistik wurden die Räume den Nutzer*innen meist als Edelrohbau angeboten, da, so Asmus, „gerade Kreative keine vorbereiteten Immobilen wollen, sondern leistbare Räume, die sie so gestalten, wie sie wollen.“ Die Leistbarkeit der Räume konnte aber auch durch ein ausgeklügeltes System von Primär- und Sekundärnutzer*innen erreicht werden, wodurch etwa auch die Caritas mit sieben Kulturinitiativen in das Projekt einbezogen werden konnte. Ziel sei es, durch eine kritische Masse an kulturellen Nutzungen eine Dynamik zu schaffen, die das Projekt von selbst trägt – ein sowohl kaufmännisch sinnvolles als auch ideell verfolgenswertes Ziel. Aber auch ökologische Aspekte spielten eine Rolle, so Asmus: „Die Transformation eines alten Industriebaus erzeugt 20 Prozent des ökologischen Fußabdrucks eines Neubaus.“

100 leistbare Räume

Könnte die alte Wiener Wirtschaftsuniversität (WU), Ort der Diskussionsreihe „Leerstand nutzen!“, zu einem Wiener Haus der Statistik werden? Bekanntlich soll der 120.000 Quadratmeter große, aus den 1980er-Jahren stammende Universitätskomplex 2027 abgerissen und durch einen 150.000 Quadratmeter großen, neuen Universitätscampus ersetzt werden – was zuletzt zahlreiche kritische Stimmen auf den Plan rief. Das Kollektiv „4lthangrund für alle“ bespielt seit 2018 Teile der Gebäude mit rund 200 Veranstaltungen pro Jahr, Ende 2025 soll der Nutzungsvertrag aber auslaufen. _willi Hejda vom Kollektiv „4lthangrund für alle“ wünscht sich auch in einem zukünftigen Projekt leistbare Räume für soziale, künstlerische und kulturelle Nutzungen, forderte diese aber auch für das gesamte Wiener Stadtgebiet. Hejda: „Wir brauchen hundert leistbare Räume in Wien, in jedem Grätzel einen, die der Marktlogik entzogen sind – für nichtkommerzielle Initiativen, die zu einer solidarischen Stadt beitragen. Das wäre eine mutige Politik!“

„Die Stadt Wien produziert sogar Leerstand“, entgegnete dazu Rosenberger. Durch das Fachkonzept Produktive Stadt und Änderungen in der Wiener Bauordnung sei der Abbruch von Bestandsgebäuden seit 2015 stark eingeschränkt worden – leerstehende Gewerbeimmobilien stünden damit für neue Nutzungen weiterhin zur Verfügung. Nun gelte es, diese Immobilen umzubauen und zu adaptieren, wofür entsprechende baurechtliche Vereinfachungen zu schaffen wären.

Kuratierung

Lisa Gaupp, Professorin für Cultural Institutions Studies an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, pflichtete Hejda beim hohen Raumbedarf bei, warnte aber auch vor Konkurrenzkämpfen innerhalb der kreativen Szene: „Wer entscheidet, wer einen Raum bekommt oder Zugang dazu erhält?“ Um Räume gerade für Randgruppen offen zu halten, müssten auch Auswahlgremien und Kuratorien, die über die Vergabe von Räumen und Förderungen bestimmen, divers besetzt werden. Auch Lynen sieht Bedarf an qualitätsvoller Kuratierung, allerdings eher in Form eines Managements an der Schnittstelle zwischen Eigentümer*innen von Leerstand und Pioniernutzungen, wie dies auch beim Haus der Statistik der Fall sei. Als zentrale Anlaufstelle wickelt das Management die Kommunikation ab, klärt Rechtsfragen, Fragen der Versicherung oder des Brandschutzes und gibt Erfahrungen weiter. Lynen: „Ohne diese intermediäre Struktur lässt sich kein Leerstandseigentümer auf Nutzungsüberlassungen ein – der Aufwand wäre schlicht zu groß.“

Leistbarkeit

In Bezug auf die von Hejda geforderten leistbaren Räume in Wien verwies Rosenberger nochmals auf das Fachkonzept Produktive Stadt. Dieses sieht – ähnlich wie beim Haus der Statistik – die Nachverdichtung von Gewerbearealen mit „sehr wohl kommerziell interessanten“ Nutzungen vor, um die Aktivierung leerstehender Gewerbebauten zu leistbaren Konditionen zu ermöglichen: „Nicht Konservierung, sondern Ergänzung sollte die Strategie sein.“ Raumplaner Güttinger vom Schweizer Stadtentwicklungsbüro „Denkstatt sàrl“ wiederum sah die Senkung von Standards als wichtigen Hebel, um Leistbarkeit zu ermöglichen. Besitzer*innen von Gewerbeleerstand seien in der Regel mit der Entwicklung ihrer Immobilen überfordert, da an Gebäudestandards festgehalten werde, die oft gar nicht erforderlich wären und die Quadratmeterpreise nach oben treiben. Anders als im Wohnbau gäbe es für den Gewerbebau jedoch keine verbindlichen Gebäudestandards – was neue Chancen eröffne. Güttinger: „Die Überforderung der Immobilienbesitzer ist die beste Voraussetzung für Pioniernutzungen, weil Immobilienbesitzer gewillt sind, neue Wege zu gehen.“