Tina Leisch: Gemeinsam ins Zeug werfen
Meine Großmutter wusste es besser. Das Sackerl, in dem sie auf Reisen die Zahnbürste, die Nagelfeile, das Kölnisch Wasser und die Pinzette, mit der sie sich alle paar Tage einzelne Teufelshaare aus dem Gesicht riss, verstaute, dieses Sackerl nannte sie „Kulturtasche“. Meine Großmutter hatte Recht. Das Wesentliche an der Volksoper ist nicht, welcher Sänger welche Töne trällert, sondern, dass die Dauerwellenfrisuren der Besucherinnen mit zwei Kilo Haarspray perfekt betoniert sind. Kultur heißt: Egal wohin der Kopf während des spätestens im zweiten Akt einsetzenden Tiefschlafs hinfällt, die Frisur bleibt stehen. Kulturpolitik muss also die steiflockige Selbstgefälligkeit garantieren, mit der das Bürgertum sich verlogen und scheinheilig als Hort der Schulbuchmoralität imaginiert, während es in Wirklichkeit Hand in Hand mit NML den argentinischen Armen ungeniert den allerletzten Peso aus der Tasche zieht und Auge in Auge mit der NSA fröhlich eine verschärfte orwellsche Vision von der globalen 24-Stunden-Rundherumüberwachung aller WeltbewohnerInnen in die Realität umsetzt.
Diesen Job machen die SPÖ-KulturpolitikerInnen sehr gut: Sie werfen das Geld in großen Scheinen dorthin, wo schon ihre Großeltern anständig frisiert Kultur konsumierten, und sie lassen denjenigen, die etwas neuere Vorstellungen davon haben, was man mit Kultur auch noch tun könnte, immerhin ab und zu den einen oder andren Gnaden-Cent zukommen. Aber warum spielt die freie Szene da so anstandslos mit?Vor einigen Monaten stellte sich der für Kultur zuständige Kanzler- amtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) in der Garage X den Fragen der Kulturschaffenden, von denen über 100 erschienen waren. Eigentlich hätte die Veranstaltung in drei Minuten beendet sein können, wenn alle gemeinsam im Chor gesprochen hätten. Denn alle sagten ohnehin das Gleiche: „Bitte mehr Geld für mich und meine unglaublich bedeutende Kunst!“ Keine einzige Wortmeldung, die in irgendeiner Weise den sozi- aldemokratischen Kulturbudgetverwalter mit einer sozialistischen Vision von Kultur und Kulturpolitik zu beschämen versucht hätte. Keinerlei Kritik an der Unzeitgemäßheit eines Kulturbegriffs, der zwischen Kulturtasche, Burg und Museum und deren unterdotierten „freien“ Kopien mit seinen dritten Zähnen scheppert.
Sozialistische, utopische, weltverbessernde Visionen von Kulturarbeit sind kaum irgendwo zu sehen. Wo wird diskutiert, in welcher Weise Kulturarbeit Arbeit an der Veränderung von Alltagskulturen, Umgangs- weisen und Kommunikationswegen sein könnte oder müsste? In der Versorgerin und in den Kulturrissen – als es sie noch gab. Sonst noch wo? Wo werden Projekte erdacht, die die vielfältigen kulturellen Kompetenzen der ärmeren Schichten der Stadtbevölkerung herausfordern? In der Brunnenpassage. Sonst noch hie und da vereinzelt und jenseits der Wahrnehmungsschwelle. Wo verwenden KünstlerInnen gemeinsam und in größerem Ausmaß ihre Talente, um den Klassenkampf zu schüren? Im Rahmen des Refugee-Protestes 2014. Davor im Rahmen der Proteste gegen Schwarz-Blau 2000. Jedes Jahrzehnt einmal. Sonst sind es meist nur einzelne, kaum sichtbare, selten über den Kreis der FreundInnen hinausreichende Ansätze.
Ich beobachte, dass es in Oberösterreich und Linz mit der KUPF und der Stadtwerkstatt einen starken, solidarischen Diskussions- und Organisationszusammenhang einer breiten linken Kunst- und Kulturszene gibt. In Wien scheint mir die Szene viel weniger solidarisch, viel weniger links und viel zerspragelter. Der einzige gemeinsame politische Nenner scheint eben die Forderung nach mehr Geld für die Freien, Kleinen, Unabhängigen zu sein. Gut, aber wo bleiben solidarische, radikale, gemeinsame Aktionen, Kampagnen, Festivals? Wann treten wir gemeinsam an gegen die Privatisierung des öffentlichen Raumes? Leider nie. Die freie Szene fügt sich gefügig in die Halbschale. Wo bleibt das selbstorganisierte gemeinsame Auftreten verschiedener Initiativen und Gruppen?Wir sind JosephinistInnen. Gemeinsam unter einem Label treten wir auf, wenn die MA 7 uns dazu aufruft, einen Topf auslobt, KuratorInnen bestellt und wir Geld bekommen.
Sonst nicht.
Wenn sich KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen zu einem dringenden politischen Thema zusammensammeln, um der städtischen Kulturpolitik den Kampf anzusagen, kann es schon vorkommen, dass die MA 7 schnell der einen einen hübschen Job und dem anderen einen längst ersehnten Raum verspricht, und der Zusammenschluss bröselt. Offensichtlich haben doch die meisten KollegInnen Kultur als Beruf erwählt, um sich selbst zu verwirklichen, nicht um die Welt zu verbessern. Aber: Welches politische Potential hätte die versammelte Kreativität der freien Kulturschaffenden, wenn sie sich gemeinsam politisch ins Zeug werfen würden?!
Der Innovationspreis bringt zumindest etliche Initiativen zusammen. Allerdings derweilen als KonkurrentInnen um den Preis, nicht als solidarisch an einem Strick Ziehende.
Ein weiter Aufgabenbereich für die IG Kultur Wien.
Tina Leisch ist Film-, Text- und Theaterarbeiterin.