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Kulturräume sichern! Die selbstverwalteten Kulturräume in Wien benötigen dringend mehr Mittel

Laurin Lorenz

 

Wien kann mit Arena, Amerlinghaus und WUK hochkarätige Kulturzentren vorweisen. Sie alle gelten mittlerweile als fest institutionalisiert und sind aus der kulturellen Landschaft der Stadt nicht mehr wegzudenken. Dabei stehen sie jedoch für mehr als nur für kulturelles Angebot. Sie verkörpern auch die radikale Vision einer Stadt, die auf Selbstverantwortung und Begegnung basiert: eine „Stadt für alle“. Trotz dieser wichtigen sozialen Funktion kultureller Freiräume ist ihre momentane Situation prekär. Es werden dringend mehr finanzielle Mittel benötigt.


Eine Stadt für alle

Das Verlangen nach einem anderen, inklusiveren Wien hat seine Wurzeln in der Stadtentwicklung der Nachkriegsjahrzehnte. Die damalige Stadtplanung ließ wenig Raum für Experimente. Jedem Zweck sollte ein klar definierter Ort zugewiesen werden. Außerdem machten sich die Folgen von Häuserspekulationen offensichtlich im Verfall von Einzelobjekten bemerkbar. Der öffentliche Raum war zudem moralisiert, die Figur des „Eckenstehers“ galt als Symbol jugendlicher Arbeitsverweigerung und Kriminalität. Um dies zu unterbinden, wurde das „unbegründete Stehenbleiben“ auf dem Gehsteig zum Verwaltungsstrafdelikt erklärt.

Kulturelle Freiräume waren der Gegenentwurf zu einer durchgeplanten und repressiven Stadtpolitik. Von Anbeginn der Besetzungen, aus denen dann Arena, Amerlinghaus und WUK entstanden, war klar, dass es nicht nur um die Deckung der Bedürfnisse von Kunst- und Kulturschaffenden ging. So proklamierte das Amerlinghaus schon 1975, „ein Haus für alle“ sein zu wollen. Wenige Jahre später folgte die Besetzung der Arena mit der Forderung, „Kunst gehört uns allen“. Und schließlich etablierte sich 1981 das WUK und stellte ein offenes Kultur- und Werkstättenhaus zur Verfügung. Die Schaffung von generationen- und klassenübergreifenden Begegnungsstätten war auch aus der Perspektive nachhaltiger Stadtentwicklung anstrebenswert. Diese Räume konnten Brücken zu sonst marginalisierten Gruppen herzustellen.


Eine andere Zeit?

Die Wichtigkeit von kulturellen Freiräumen schien die Politik damals erkannt zu haben. Es sei an Helmut Zilk erinnert, der 1981 als Kulturstadtrat die Privatbürgschaft für das WUK übernommen hat und sich sogar beim Fensterputzen öffentlich ablichten ließ. Seine offene Unterstützung gilt heute als Grundstein für die Subventionen, die das WUK jährlich für seine Kultur- und Sozialarbeit von der Stadt Wien erhält.

Auch der Umgang der Öffentlichkeit mit den Besetzungen der Arena und des Amerlinghauses ist aus heutiger Sicht unvorstellbar. Fast alle Medien berichteten zum größten Teil wohlwollend über die Besetzung des ehemaligen Auslandsschlachthofs. Der enorme Zuspruch bei der Besetzung des Amerlinghauses, der aus unterschiedlichen Teilen der Wiener Bevölkerung kam, signalisierte der Politik, dass die Besetzer*innen einen Nerv getroffen hatten. Der massive Abriss vieler Gründerzeithäuser, dem auch das heutige Amerlinghaus zum Opfer gefallen wäre, befeuerte die Preise und führte zu sozialen Verdrängungsprozessen.


Die Politik mischte sich ein

Obwohl der damalige Umgang der Stadt Wien mit den Besetzungen aus heutiger Perspektive sehr wohlwollend erscheint, gab die Politik von Anfang an den Rahmen vor. Das Amerlinghaus musste erst einen neuen Verein gründen, der zur Hälfte von der Stadt gestellt wurde, um als Empfänger für Subventionen in Frage zu kommen. Auch die Besetzung in derArena musste ihren ursprünglichen Ort verlassen, um dann „legal“ im anderen Teil des Schlachthofes Platz zu finden. Die Politik signalisierte: Besetzen alleine lohnt sich nicht. Die Stadtpolitik verlangte Mitsprache.

Den Besetzer*innen war klar, dass dies die Selbstverwaltung gewissermaßen limitierte. Um zu überleben, waren die Besetzer*innen aber zumindest auf die Duldung der Politik angewiesen. Jene Kulturräume, die sich damals darauf einließen, konnten bis heute überleben und erhielten zudem beachtliche Fördersummen. Mit diesen finanziellen Mitteln konnten sie nicht nur den Kunst- und Kulturbetrieb stetig ausbauen, sondern ihn auch professionalisieren. Die Organisator*innen wurden für ihre Arbeit zum Teil bezahlt und konnten sich so vor einer vollständigen Kapitalisierung des Betriebs schützen. Trotz dieser beachtlichen Erfolge bleibt die Raumfrage zwischen der Stadt und den Betreibern bis heute ungeklärt.


Prekarium bedeutet Abhängigkeit

Weder das WUK noch die Arena besitzen einen Mietvertrag mit der Stadt Wien. Beide befinden sich in einem Prekarium, das jederzeit gekündigt werden kann. Dies bedeutet für die Betroffenen eine fundamentale Abhängigkeit von der Politik. Theoretisch könnte die Stadt das WUK oder die Arena innerhalb weniger Wochen aus den Räumlichkeiten werfen, wenngleich „eine plötzliche Kündigung seitens der Stadt Wien zurzeit nicht zu erwarten ist“, so Sebastian Tomek, Obmann des Vereins Forum Arena Wien.

Auch die Obfrau des Vereins zur Schaffung offener Kultur- und Werkstättenhäuser (WUK), Ute Fragner, fasst die aktuelle Situation so zusammen: „Für die Stadt Wien sind wir offiziell ein Leerstand. Wenn die denkmalgeschützten Fenster nicht renoviert werden, dann werden sie eben zugenagelt. Es gibt in Österreich keine ersessenen Rechte, wie es in anderen europäischen Ländern der Fall ist.“


Renovierungen sind Belastung

Das Amerlinghaus, die Arena und das WUK sind alle zumindest teilweise denkmalgeschützt. Jede bauliche Maßnahme bedeutet somit eine zusätzliche Belastung für den laufenden Betrieb. Die Ziegel des Amerlinghauses sind zum Beispiel handgeschöpft, und jede Restaurierung der Baumasse überschreitet die Möglichkeiten des laufenden Budgets um ein Vielfaches.

Auch die Anpassung des Gebäudes an behördliche Standards betreffend Brandschutz oder Hygiene bedeutet eine doppelte Herausforderung. Gerade politisch umstrittene Projekte tun gut daran, sich penibel an jede Bestimmung zu halten. Man habe schon übereifrige Magistratsbeamte erlebt, die spontan vorbeischauen. Immer wieder wurden auch Gerüchte um mangelnde Sicherheit gestreut – für bestimmte Medien ein gefundenes Fressen. „Wenn vom WUK in den Medien über vermeintliche Brandschutzmängel berichtet wird, trifft das uns bis auf die Existenz“, erzählt Fragner. Die Frage nach der Finanzierbarkeit solcher Baumaßnahmen bleibt aber unbeantwortet. Wenn die laufenden Subventionen dafür verwendet werden, wäre das Zweckentfremdung.

Daher muss jede Investition in das Gebäude mit dem Eigentümer – der Stadt Wien – neu verhandelt werden. Man befinde sich so automatisch in der Position des Bittstellers, bekräftigen sowohl Fragner wie auch Tomek. Auch wenn es möglich wäre: In der jetzigen Rechtslage wäre es unklug, viele Eigenmittel in die Hand zu nehmen, um strukturelle Renovierungen anzugehen. Wenn das Prekarium aufgekündigt wird, ist das Geld weg.


Es braucht die öffentliche Hand

Auch ein Mietvertrag bedeutet keine vollständige Lösung der Raumfrage. Wer niederschwellige und nicht kommerzielle Kultur- und Sozialarbeit leisten will, kann sich nicht selbst erhalten, sondern ist auf die Unterstützung der öffentlichen Hand angewiesen. Wenn diese Subventionen wegbrechen, ist die zu erbringende Miete eine enorme Belastung. Claudia Totschnig, Vorstandsmitglied des Vereins Kulturzentrum Spittelberg, resümiert: „Aus unserer Jahressubvention ist eine Infrastrukturförderung geworden. Mittlerweile sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die Infrastrukturförderung nicht einmal mehr die Infrastruktur abdeckt.“(1) Die Aufwertungsprozesse im siebten Bezirk treiben die Mieten in die Höhe und lassen die Begehrlichkeiten auf das Objekt am Spittelberg größer werden.

Diese Erfahrung denken Vertreter*innen von WUK und Arena in ihren Verhandlungen mit der Stadt Wien für eine rechtliche Absicherung mit. Das WUK ist bereit, Verantwortung zu übernehmen, so Fragner. Dafür brauche es aber zugesicherte Subventionen, ansonsten müssten die Kosten auf die Nutzer*innen abgewälzt oder der Betrieb kommerzialisiert werden. Das würde das Ende des WUKs in seiner jetzigen Form bedeuten. Für die Arena sind die Subventionen der Stadt Wien zwar nicht mehr die Haupt-einnahmequelle, aber dennoch überlebenswichtig, um die soziale und nicht kommerzielle Funktion des Raums aufrechtzuerhalten. Sebastian Tomek fordert daher einen symbolischen Mietvertrag mit klar definierten Eigenmittel.


Zusätzliche Mittel und politischer Wille benötigt

Mit oder ohne Mietvertrag: Klar ist, dass eine Lösung dieser prekären Situation nur mit Aufstockung der finanziellen Mittel möglich ist. Nominal gesehen sind die Subventionen für das WUK seit 15 Jahren eingefroren. Wie lange das Programm ohne Einschnitte aufrechtzuerhalten ist, bleibt ungewiss. Für zusätzliche Baumaßnahmen bräuchte es klar geregelte Subventionszuschüsse, am besten sollen diese gebündelt an einer Stelle angesucht werden können. Eine zusätzliche Infrastrukturförderung, die gesondert vom Budget des regulären Betriebs ausgeschüttet wird, wäre für die Sicherung der Kulturräume essenziell.

Dennoch ist klar, dass zusätzliche Regelungen auch nicht unbedingt garantieren, dass tatsächlich gefördert wird. „Letzten Endes kommt es auf den politischen Willen an, und dieser beschränkt sich nun mal auf Legislaturperioden“, erklärt Fragner. Momentan sei die Unsicherheit deutlich zu spüren, und da erhält die Sicherheit eines Mietvertrages plötzlich eine andere Qualität, selbst wenn er keine absolute Garantie bedeutet.


Vernetzung und Öffentlichkeit

Einzig eine kritische Öffentlichkeit kann die Politik zur Unterstützung selbstverwalteter Kulturzentren zwingen. Claudia Totschnig weiß, dass die breite Unterstützung die Stärke des Amerlinghauses ist. Diese Solidarität muss aber immer wieder erneut hergestellt werden. Daher ist es für die Häuser wichtig, sich zu vernetzen und die Unterstützer*innenbasis nicht aus den Augen zu verlieren.

Auch Tomek ist vom Mehrwert einer Vernetzung überzeugt und erhofft sich durch gemeinsame politische Positionen auch eine bessere Verhandlungsbasis für Einzelne. Wenn es hart auf hart kommt, ist ein Netzwerk, in dem schnell agiert werden kann, von überlebenswichtiger Bedeutung. Die Arena weiß, wovon sie spricht: In ihrer 42-jährigen Geschichte gab es immer wieder Angriffe aus der rechtsextremen Szene.

In Zeiten von Alkoholverboten, vermehrten Polizeikontrollen und rassistischer Vertreibungspolitik in der Stadt sind kulturelle Freiräumen wichtiger denn je. „Wir sind ein Experimentierfeld für gesellschafts- und kulturpolitische Entwicklungen und zeigen Möglichkeiten der Mitbestimmung auf“, betont Fragner. Grassierenden Ängsten können solche Räume als Beispiel für gelungene Offenheit und Vielfalt entgegengehalten werden. Fragner weiß, warum sie sich engagiert: „Menschen übernehmen bei uns Verantwortung und haben die Möglichkeit zu gestalten – das ist ein unbezahlbarer Nutzen für die Gesellschaft.“


Von der Theorie zur Praxis

In der Theorie ist dieser soziale Mehrwert bei der Stadt schon längst angekommen. Schon 1981 – in der heißen Zeit der Besetzungen – gab es den Plan, in jedem der 23 Bezirke Wiens jeweils zwei Abbruchhäuser der Gemeinde für Jugendliche zur alternativen Nutzung zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Plan wurde bedauerlicherweise nichts.

Im aktuellen Regierungsübereinkommen bekennt sich die rot-grüne Stadtregierung zu offenen Kulturräumen und -angeboten, die für alle zugänglich sind. Auch die Wichtigkeit nicht kommerzieller Freiräume in der Stadtentwicklung steht in diesem Programm großgeschrieben. Dem neuen Bürgermeister, Michael Ludwig, gehe es vor allem darum, „eine Stadt der zwei Geschwindigkeiten“ zu vermeiden. Dass niederschwellige Kunst und Kultur auch ihren Beitrag dafür leisten, wurde zumindest am Papier erkannt.

Es liegt nun an der Stadtpolitik, auf ihre eigenen Worte Taten folgen zu lassen. Von Michael Ludwig wird sicher nicht verlangt, dass er sich am Frühjahrsputz im WUK, in der Arena oder im Amerlinghaus beteiligt. Sehr wohl liegt es an ihm, die Arbeit der selbstverwalteten Kulturräume ernst zu nehmen, ihnen Rechtssicherheit zu gewähren und sie durch ausreichende (finanzielle) Mittel abzusichern.

 

(1) Alle Zitate von Claudia Totschnig sind dem Mitschnitt der Diskussionsveranstaltung Utopia des Dazwischen #2 – „Vor allem brauchen wir aber den langen Atem!“ entnommen, die am 27. Juni 2017 im Kulturzentrum Amerlinghaus stattgefunden hat. Online hier nachzuhören: https://cba.fro.at/348668.

 

Laurin Lorenz ist Sozialwissenschaftler und freier Journalist, u. a. Redaktionsmitglied der Zeitschrift MALMOE. Er engagiert sich für eine Stadt für alle.