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Statement zum Preis der freien Szene Wiens - Vorwort

Während wir vor einem Jahr einer relativ jungen schwarz-blauen Regierung auf Bundesebene sowie in Wien neuen Verantwortlichen und spärlich beschriebenen Blättern in den Stadträt*innenbüros gegenüber standen, sieht die Situation heute schon anders aus:

Nach Veröffentlichung des skandalgespickten „Ibizavideos“ blieb in der Bundesregierung kein Stein auf dem anderen und wir stehen nur eineinhalb Jahre nach deren Angelobung wieder vor Neuwahlen.

In Wien haben wir der angehenden Kulturstadträtin letztes Jahr ein Zehn-Punkte-Programm der Freien Wiener Kunst- und Kulturszene mit auf den Weg gegeben, das insbesondere auch einen „kontinuierlichen und strukturierten Dialog“ mit der Freien Szene einforderte. Zwar kam es unter Veronica Kaup-Hasler in Sachen Gesprächsbereitschaft und Tatendrang tatsächlich zu Bewegung im Kulturressort, von der Erfüllung unserer Forderung(en) scheinen wir allerdings nach wie vor weit entfernt.

Als ersten Erfolg werten wir, dass sich nach einer gemeinsamen Podiumsdiskussion mit uns sowie den bundesweit agierenden Spartenvertretungen „Fair Pay in der Kulturarbeit“ und „Räume für Kunst und Kultur“ als Themenschwerpunkte herauskristallisierten, die in zweitägigen Symposien bis 2020 ausführlich diskutiert und bearbeitet werden sollen.

Das erste Symposium zu sozialer Gerechtigkeit und Fair Pay für Kunst- und Kulturschaffende ging bereits Anfang April über die Bühne des Wiener Gartenbaukinos. Nach Beiträgen von Interessenvertretungen und internationalen Gästen wurden in Kleingruppen möglichst konkrete Vorschläge ausgearbeitet, deren weitere Umsetzung allerdings abzuwarten bleibt.

Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich, stellte in ihrem auch hier abgedruckten Beitrag einen Leitfaden zur Erreichung der Utopie gerechter Bezahlung vor und plädiert(e) für ein neues Selbstverständnis bzw. Selbstbewusstsein unter Kulturschaffenden Kulturarbeit als Arbeit zu begreifen und die derzeitigen Rahmenbedingungen nicht einfach als gegeben hinzunehmen.

Denn: „Dass immer mehr [Kunst und Kultur] mit immer weniger realisiert wird, ist eine trügerische Erfolgsgeschichte, denn sie hat einen unsichtbaren Preis. Dieser Preis wird von jenen bezahlt, die im freien Sektor arbeiten und versuchen, davon zu leben.“, so die Studie des Arts Council England (zit. nach Gimpel).

Daniel Aschwanden als langjährig aktiver und mittlerweile „emerging elderly artist“ bringt in seinem Text zusätzlich sehr konkrete, szeneinterne Perspektiven ein. Während konjunkturbedingter Zukunftsoptimismus in den 80ern maßgeblich zur Entwicklung der Freien Szene beitrug, sieht man heute allzu oft die weitgehend ausgeblendete Kehrseite der Medaille dieser Entwicklung: unzureichende Sozial- und Fördersysteme führen immer öfter zu akuter Prekarisierung von Künstler*innen.

Zusätzlich verknüpft Aschwanden die Thematik als Teil der „Spaces“-Gruppe der „Wiener Perspektive“ (einem Zusammenschluss von etwa 250 Performer*innen und Tänzer*innen) mit dem Zugang zu Infrastruktur, insbesondere auch Probe- und Produktionsräumen. Diese Verknüpfung ist ein weiterer Hinweis auf die Komplexität und Vielschichtigkeit der Materie, weshalb Aschwanden sich zusätzlich für ressortübergreifendes Denken und eine gemeinsame, im Dialog ausgearbeitete Vision zu einer umfassenden Strukturreform ausspricht.

Neben der „ARGE Räume“, eine 2018 entstandene solidarische Vernetzung soziokultureller Räume, hat sich bei der Initiative „MitDerStadtReden“ aus dem Bereich freier Musiker*innen mittlerweile eine eigene Arbeitsgruppe zu Räumen gebildet und auch im freien Clubbereich versucht sich ein Zusammenschluss namens „IG Fort“ bei der Stadt Gehör für ihre Anliegen zu verschaffen.

Dringenden Handlungsbedarf gibt es nach einem jahrelangen Reformstau also über alle Kultursparten hinweg und grundsätzlich scheinen die neuen Stadträt*innen ja nicht davor zu scheuen, auch jahrelang weitergereichte „heiße Kartoffeln“ wie die Generalsanierung des WUK anzugehen. Inwiefern darüber hinaus die Freie Kulturszene allerdings ihre berechtigte Beachtung findet, bleibt abzuwarten.

Tatsächlich wurde der Haschahof unter Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál zur Nutzung ausgeschrieben, Einreichkriterien ließen unserer Ansicht nach aber wenig Platz für kleine, finanzschwächere Initiativen, wie wir in einer Stellungnahme auch kundgetan haben.

Auch Veronica Kaup-Haslers grundsätzlich begrüßenswerte Initiative im Bereich Stadtlabore und dezentraler Kulturarbeit blieb einige Antworten bezüglich Vergabekriterien und langfristiger Strategien schuldig.

„Generell ist es hoch an der Zeit, das Schaffen der Freien Szene in der Stadt grundlegend anzuerkennen [...]. Die vielfältigen und integrativ wirkenden Funktionen [...] freien Kulturschaffens werden mittlerweile innerhalb zeitgenössischer-urbaner Raumplanung klar benannt und es gibt auch Kriterien dafür“, schreibt Aschwanden in seinem Beitrag. Nur leider scheint die Wichtigkeit der Freien Szene und die Notwendigkeit ressortübergreifender Zusammenarbeit bei der Stadt noch nicht vollends angekommen zu sein. So ist aktuell die Zukunft der Nordbahnhalle äußerst ungewiss. Verantwortlich ist hierfür die auf Maria Vassilakou folgende neue Vize-Bürgermeisterin Birgit Hebein. Nach 820 Tagen mit unzähligen Veranstaltungen und Besucher*innen soll die Halle nun abgerissen und weiterer Kulturraum ersatzlos gestrichen werden … Der Erhalt der Nordbahnhalle wäre hier eine wichtige Nagelprobe, die zeigen kann, dass bei den Neuen ein Lernprozess stattgefunden hat.

Oben genannte Beispiele und 56 Einreichungen für den Preis der Freien Szene Wiens führen uns auch heuer wieder die Aktivität und Bandbreite der Freien Wiener Kulturszene vor Augen. Wie beim Symposium im April sowie bei der Diskussion zu Vogelfrei wie ein Künstler im Künstlerhaus im Juni wollen wir die Diskussion rund um Fair Pay für Kulturarbeit auch im Rahmen der diesjährigen Preisverleihung am 16. Oktober gemeinsam mit der Politik weiterführen. Die Planungen des zweiten Symposiums zu Kulturräumen, die kommende Wien-Wahl und nicht zuletzt das 30jährige Bestehen der IG Kultur Wien versprechen darüber hinaus ein weiteres ereignisreiches Jahr 2020 in der Wiener Kulturpolitik.


Der Vorstand der IG Kultur Wien

Alisa Beck

Elisabeth Bernroitner

Günther Friesinger

Walter Gössinger

Djamila Grandits

Sabine Maringer

Tamara Schwarzmayr