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Anmerkungen zum Kulturkapitel der Stadtregierungserklärung

Was können wir von der neuen Wiener Stadtregierungskoalition erwarten?

Am 3. Juni präsentierten SPÖ und NEOS ihre Regierungserklärung für eine, wie sie es nennen, „Aufschwungskoalition“ in Wien. Und am 4. Juni wurden die künftig (weiterhin) zuständigen Stadträt*innen präsentiert, unter ihnen Veronica Kaup-Hasler für Kultur und Wissenschaft.

Was können wir uns in den nächsten Jahren für den Bereich der freien und autonomen Kunst- und Kulturszene Wiens erwarten? Ohne die für den Herbst erwarteten Budgetzahlen ist das nicht zu beantworten. Wir haben trotzdem mal versucht, aus der Ansammlung schöner Worte in der Regierungserklärung Konkretes rauszufiltern.

 

Die „Aufschwungskoalition“ verspricht, „an Rahmenbedingungen“ zu arbeiten, „damit die im Feld der Kunst und Kultur Arbeitenden auch fair entlohnt werden.“ Dabei wird ganz richtig erkannt, dass im Feld der Kultur viele oft unter prekären Bedingungen arbeiten: „Gerade die Freie Szene und Akteur*innen am Anfang und Ende des Erwerbslebens sind häufig von wirtschaftlicher Unsicherheit betroffen – gleichzeitig verändern sich Förderbedarfe und Arbeitsrealitäten.“

Auf diese Herausforderung möchte sie mit einer „modernen Kulturpolitik“ reagieren und „Rahmenbedingungen schaffen, die verlässlich, inklusiv und langfristig wirksam sind“.

Die „Aufschwungskoalition“ kündigt dazu eine „Weiterentwicklung der Förderinstrumentarien“ an, ohne diese aber genauer zu beschreiben. Wenn gleich im nächsten Satz zu lesen ist, dass sie dabei „mehr privates finanzielles Engagement in all seinen Formen als wichtigen ergänzenden Beitrag zu einem lebendigen, breit getragenen Kulturleben“ begrüße, ohne zu beschreiben, wo dieses begrüßte private finanzielle Engagement herkommen soll, bleibt zu befürchten, dass künftig mehr Eigen- und Drittmittel bei der Kalkulation von Förderansuchen verlangt werden. Und dass Kulturinitiativen selbst mit privaten finanziellen Mitteln einen noch größeren ergänzenden Beitrag zu ihrer Kulturarbeit zuschießen müssen.

Als eine konkrete Maßnahme für faire Bezahlung wird unter anderem genannt: „Wir forcieren die Einbindung von Kalkulationsvorlagen für ‚Fair Pay‘ in die Förderantragstellung für alle Sparten.“ Bislang gab es solche Kalkulationsvorlagen im Bereich Darstellende Kunst. Diese können auch durchaus sinnvoll sein, wenn bei einem finanziell gut ausgestatteten Vorhaben sichergestellt werden soll, dass beteiligte Personen fair bezahlt werden.

Es klingt immer schön, wenn Vorhaben von Kulturinitiativen auch fair bezahlt werden sollen. Das könnten sie auch heute schon, würden sie ausreichend finanziert. In der Realität zwingen unzureichende Fördermittel viele Veranstalter*innen zu Selbstausbeutung. Statt fairer Bezahlung muss von vielen Initiativen und dort arbeitenden Menschen selbst Geld zugeschossen werden, um ihre Vorhaben verwirklichen zu können. Wenn nun in Zeiten drohender Budgetkürzungen faire Bezahlung verlangt wird, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird die faire Bezahlung durch höhere Förderungen ermöglicht. Dann führt das zwangsläufig dazu, dass künftig insgesamt viel weniger eingereichte Vorhaben gefördert werden können. Oder die faire Bezahlung wird zwar verlangt, aber nicht durch höhere Förderungen ermöglicht. Dann werden viele Projekte einfach undurchführbar.

Das könnte die „Aufschwungskoalition“ auch meinen, wenn sie in diesem Zusammenhang von „gezielte[n] Maßnahmen für professionelle Kulturarbeit“ spricht, also eventuell mehr Geld für weniger Antragsteller*innen, aber weniger oder kein Geld für immer mehr Ansuchende.

„Inklusiv“, wie verhießen, wäre das nicht, weil noch viel mehr Antragsteller*innen von Förderungen ausgeschlossen würden, als bisher. Und weil es ja auch nicht zufällig ist, wer von Förderungen ausgeschlossen ist. Und noch weniger eine Frage der künstlerischen oder kulturellen Qualität. Schon eher eine Frage der Fähigkeiten, sich gut zu präsentieren. Oder eine Frage der finanziellen Möglichkeiten, ausreichend Eigenmittel oder „ehrenamtliche“, also – noch viel unfairer – unbezahlte Eigenleistungen einbringen zu können.

Die IG Kultur Wien kritisiert seit längerem, dass die Förderstruktur der Stadt Wien (wie auch jene des Bundes) Ausschlüsse produziert, weil die Chancen auf Förderungen ungleich verteilt sind. Wer Vermögen besitzt oder vom Geld reicher Eltern lebt, kann leichter unterförderte Projekte umsetzen und ohne Bezahlung „Eigenleistungen“ kalkulieren, als unter prekären Bedingungen lebende Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen. Denen hilft die Implementierung von Fair-pay-Kalkulationsvorgaben nichts, wenn das bedeutet, dass es gar keine Förderung mehr gibt.

Derart klassistische Ausschlüsse von Förderungen werden regelmäßig in den Klassismus-Stammtischen der IG Kultur Wien besprochen. Dort wurde gefordert, dass die Förderrichtlinien in Hinblick auf Klassismus überarbeitet werden müssten. Eine „Weiterentwicklung der Förderinsturmentarien“ müsste ermöglichen, dass sich auch Menschen, die zum Beispiel über wenig finanzielle Ressourcen verfügen, die aus der Arbeiter*innen- oder Armutsklasse kommen, leisten können, in Kunst und Kultur tätig zu sein. Danach sieht es derzeit aber nicht aus.

Was verspricht die „Aufschwungskoalition“ noch?

„Um Planungssicherheit zu gewährleisten“ kündigt die „Aufschwungskoalition“ an, sich für die Stärkung mehrjähriger statt einmaliger Kulturförderungen einzusetzen. Das kann in der Tat eine Erleichterung für Kulturinitiativen mit sich bringen. In erster Linie mal für jene, die derzeit in den Genuss von (Jahres-)Gesamtförderungen kommen, wenn sie nicht mehr jedes Jahr zittern müssen, ob ihre Förderungen fortgeschrieben werden, sondern gleich eine Zusage für mehrere Jahre bekommen. Es müsste dabei halt sichergestellt werden, dass auch eine Valorisierung einberechnet wird.

Die„Aufschwungskoalition“ schreibt sogar, sich für mehrjährige Förderungen statt einmaliger Förderungen einzusetzen. In Förderrichtliniendeutsch übersetzt, würde das heißen: Mehr mehrjährige Gesamtförderungen statt Einzelförderungen. Wenn das hieße, dass die Zugänglichkeit zu Gesamtförderungen für ein oder mehrere Jahre erleichtert wird, wäre das großartig. Derzeit haben nur solche Antragsteller*innen eine Chance auf Gesamtförderung, die bereits mehrere Jahre erfolgreich Einzelvorhaben durchgeführt und abgerechnet haben. Aber war das mit der Formulierung im Regierungsprogramm auch so gemeint?

Es kommt jedenfalls sehr darauf an, wie die Versprechungen letztendlich umgesetzt werden. Angesichts der drohenden Budgetkürzungen kann das auch darauf hinauslaufen, dass es zwar für einzelne (etabliertere) Antragsteller*innen Erleichterungen gibt, für Einzelförderungen aber weniger Geld überbleibt.

Wir werden darauf drängen, dass die Interessenvertretungen im Kunst- und Kulturbereich in die angekündigte „Weiterentwicklung der Förderinstrumentarien“ eingebunden werden. In den letzten Jahren hat sich die Gesprächsbasis insbesondere mit der MA 7 ja durchaus stetig verbessert. Ein bisserl Zuversicht können wir uns da schon bewahren.

Bezüglich Räumen für Kunst und Kultur schreibt die „Aufschwungskoalition“, dass in der Stadtentwicklung „Kunst und Kultur von Anfang an“ mitgedacht werde, um ausreichend Raum zu schaffen. „Durch gezielte Kooperationen und nachhaltige Raumstrategien“ sollen kulturelle Nutzungen langfristig abgesichert werden. Und „um kreative Bespielung zu ermöglichen und Verdrängung entgegenzuwirken, forcieren wir Modelle für Leerstands-, Zwischen- und Nachnutzung.“ Auch das klingt gut, aber sehr vage.

Die IG Kultur Wien fordert dazu seit langem, dass Kulturräume – ähnlich wie soziale Infrastrukturen wie Schulen und Kindergärten oder im Straßenbau – verbindlich durch konkrete Kennzahlen in den entsprechenden Verordnungen verankert werden. Davon ist in der Regierungskoalition nichts zu lesen.

Was von den „nachhaltigen Raumstrategien“ der „Aufschwungskoalition“ gehalten werden kann, wird sich zeigen, wenn in den kommenden Monaten die Nutzungsvereinbarung etablierter und wichtiger Räume wie für die Semmelweisklinik, Creative Cluster, 4lthangrund auslaufen, ohne dass noch handfeste alternative Lösungen oder Nutzungsverlängerungen am Tisch liegen.

Soweit ein paar wenige die Kulturpolitik betreffende Aspekte aus dem Wiener Regierungsprogramm der „Aufschwungskoalition“.

Das gesamte Regierungsprogramm könnt ihr bei der Stadt Wien downloaden:
⇒ https://www.wien.gv.at/politik-verwaltung/pdf/regierungsprogramm-2025.pdf

Wirklich spannend wird es im Herbst werden. Dann wird sich zeigen, wie sich die Ankündigungen in der Regierungserklärung im Budget widerspiegeln. Wir bleiben für euch dran.

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Ausschnitt aus dem Cover der Regierungserklärung: Text "Aufschwungskoalition für Wien/Sozialer Zusammenhalt./Wirtschaftliche Stärke.(Moderne Bildung."